Auslistung von Haribo bei Lidl: Verhandlungstaktik oder Machtringen zwischen Handel und Industrie?

„Haribo macht Kinder froh...“. Aktuell kann Lidl dies nicht ermöglichen, denn es gibt im Süßwarensortiment bei Lidl Regallücken bei Produkten von Haribo. Begründet wird dieses von Haribo mit Auseinandersetzungen über Einkaufspreise. Haribo will gestiegene Kosten für Rohstoffe und Logistik aus dem 2. Halbjahr 2022 an den Handel weitergeben, einige Händler lehnen dies ab. „Sukzessive wird nun allerdings der Lieferstopp für die Kund*innen sichtbar, da Lebensmittelhändler immer noch Bestände der Klassiker in ihren Zentrallägern vorhalten“, sagen Prof. Dr. Petra Morschheuser und Prof. Dr. Carsten Kortum, die die wissenschaftliche Leitung des Masters Sales and Negotiation am DHBW CAS innehaben.

„Eine Einigung bei den Verhandlungen zwischen Hersteller und Händler scheint in weiter Ferne“, so die Experten des DHBW CAS. Allgemein erfolgen Verhandlungen, um bei unterschiedlichen Präferenzen eine gemeinsame Entscheidung zu erreichen. Ein Einigungsinteresse auch bei Lidl und Haribo wird vorausgesetzt, sonst würden Verhandlungen keinen Sinn ergeben. Diese Zielkongruenz geht einher mit einem Präferenzkonflikt. Durch die gegenseitige Abhängigkeit gelingt ein Verhandlungsabschluss nur gemeinsam.

Bisher konnten starke Herstellermarken von Süßwaren die gestiegenen Kosten im Jahr 2022 an den Handel weitergeben, allerdings mit Preissteigungen von 11,8% für die Konsument*innen, die deutlich über der durchschnittlichen Preiserhöhung von 3% beim gesamten Süßwarensortiment liegen. „Der Handel hat damit in 2022 die höheren Einkaufspreise akzeptiert, um Regallücken bei den Top-Marken zu vermeiden“, sagt Morschheuser. In Zeiten angespannter Lieferketten hatte die Warenversorgung für die Händler die höchste Priorität. Nun hat sich die Warenversorgung deutlich verbessert und für den Handel stehen wieder die Konditionen im Vordergrund.

Damit wiederholt sich eine Situation aus 2020. Haribo hatte die Belieferung an Lidl über ein ganzes Jahr ausgesetzt. Der Hersteller wollte aufgrund gestiegener Rohstoffkosten auf der Beschaffungsseite höhere Preise durchsetzen. Haribo bestätigte temporäre Auslistungen als taktisches Mittel, um seine Präferenzen im Verhandlungsprozess durchzusetzen. „Das Verhalten und die Erfahrung in 2022 von Lidl und Haribo wirken sich auf die derzeitigen Verhandlungen aus. Denn frühere Verhandlungsergebnisse dienen als Anker. Wobei jede Verhandlung durch neue Informationen geprägt und verändert wird“, erklärt Kortum.

Auch wenn es von der Rohstoffseite und auch bei den Energiekosten für die Hersteller Entlastung gibt, werden steigende Personalkosten die angespannte Situation bei den Verhandlungen weiterhin beeinflussen. Die erste Runde der laufenden Tarifverhandlungen für die Süßwarenindustrie blieb ohne Ergebnis. Warnstreiks werden vermutlich folgen. Das Angebot der Arbeitgeber und die Forderungen der Gewerkschaft liegen weit auseinander. Haribo ist folglich bei den Tarif-Verhandlungen unter Druck, so die Experten.

Starke Marken lassen sich schlecht ersetzen

Für Lidl hat das Süßwarensortiment in Bezug auf Umsatz und Roherträge einen bedeutenden Stellenwert. Mit Sweet Corner führt Lidl eine günstige Eigenmarke in der Produktrange von Haribo. Die Kunden können auf eine Alternative zurückgreifen. Diese Handelsmarke ist neben der Marke Katjes das BATNA von Lidl, d.h. „Best Alternative to a Negotiated Agreement“, die beste Alternative zu einer möglichen Einigung. Meist können starke Marken jedoch nicht ersetzt werden. Lidl wird in der Warengruppe Süßwaren Umsatz verlieren.

Regallücken schaden Händlern und Herstellern

Eine Studie der DHBW Heilbronn aus 2022 hat gezeigt, dass Kund*innen bei der Konfrontation mit Out-of-Stock-Produkten warengruppenübergreifend den Ersatz des präferierten Produktes mit einem Artikel einer alternativen Marke bevorzugen. Des Weiteren besteht auch eine hohe Bereitschaft der Kund*innen zum Wechsel der Filiale. Die höchste Bereitschaft zum Filialwechsel besteht bei Kund*innen von Discountern. Im Ergebnis schaden Regallücken sowohl Händlern als auch Herstellern. Die aktuelle Auslistung von Haribo wird nicht durch die Alternativen Katjes und die Eigenmarken komplett kompensiert werden. Daher sind die meisten Auslistungen im Lebensmittelhandel nie von Dauer und eher als taktisches Mittel einzuordnen, um Verhandlungsdruck aufzubauen. Lidl und Haribo verlieren derzeit beide. Eine Wiedereinlistung wäre dann eine Win-Win-Situation.